Sortenporträt: Wintercalville
Der Name beflügelt die Fantasie und nimmt uns mit auf eine Reise in ein kaltes Land unter einer Schneedecke – eine Reise, die der Wintercalville tatsächlich gemacht hat: als nämlich die Kunde von diesem vorzüglichen Tafelapfel bis an den Zarenhof in St. Petersburg gelangte und ihn die "Meraner Calville-Exportgesellschaft" dorthin lieferte.
Bis ins Mittelalter lässt sich der Stammbaum des Apfels rekonstruieren. Vermutlich aus der Normandie stammend, war der Wintercalville lange Zeit weit verbreitet und sehr gefragt, auch in höchsten Kreisen. Auch in den Obstgärten von König Louis XIII in Orléans konnte man ihn finden. In Frankreich gilt der bei uns selten gewordene Apfel noch immer als Gourmetapfel, wird zum Dessert gereicht und für Apfelkuchen verwendet.
Der Wintercalville-Baum ist empfindlich und braucht einen kräftigen, guten, warmen Boden, den wir ihm am Ritten bieten können.
Das Fruchtfleisch des Apfels ist gelblich, zart, sehr fein und locker, duftend und mit Aroma nach weißem Pfirsich und saftigen, gelben Pflaumen. Sanft gepresst ergibt das einen charaktervollen, unverwechselbaren Bergapfelsaft.
Ein Blick zurück in die Geschichte: Wir schreiben das Jahr 1898.
Vielerorts sind die Arbeiten zur Trockenlegung und Fruchtbarmachung der Auen und Möser im Etschtal abgeschlossen. Weitum ist bekannt, dass hier Reben und Obstbäume mit feinsten Tafelfrüchten so gut gedeihen wie kaum anderswo.
An einem Herbsttag im Oktober.
Es ist eine besondere Frucht, die gerade in den Obstgärten der Herrschaft Pinzenau bei Meran reif geworden ist. Der prachtvolle Wintercalville leuchtet gelb und stellenweise rötlich überhaucht von den hohen Apfelbäumen. Sein Geschmack ist erlesen, man nennt ihn auch "König der Äpfel". Obstpflücker steigen die Holzleitern hinauf und legen die Früchte in Säcke, die sie an ihrer Seite befestigt haben. Danach kommen die Äpfel in Holzkisten.
Unterdessen wartet man in der Meraner Calville-Exportgesellschaft ungeduldig auf diese wertvolle Tafelsorte. Von hier aus wird sie in aller Herren Länder gebracht. Stück für Stück und mit größter Sorgfalt wird jede einzelne luxuriöse Frucht in Seidenpapier gewickelt. Gehandelt werden sie stückweise, nicht in Pfund oder Kilo. Unvorstellbar: Bis zu drei österreichische Kronen kostet ein Apfel der besten Qualität.
Gut verpackt und begleitet von Frauen in Tiroler Tracht geht die Reise der Äpfel auf zweirädrigen Karren und größeren Landwagen über den Brenner nach München und Wien zur Tafel der kaiserlichen Familie. Ein wichtiger Abnehmer ist auch der Zarenhof in St. Petersburg.
Johann Prokop Mayer, Lust- und Blumengärtner und Autor der Pomona Franconica, beschreibt 1801 den Apfel so: „Der Weiße Winterkalvill ist von einem so ausgesuchten Weingeschmack, dass man Ananas zu essen glaubt, oder Erdbeeren, die mit Champagner angemacht sind.“